Die Genetik spielt in der Landwirtschaft eine große Rolle. Besamt wird mit guten Genen, Stiere werden nach bestimmten Kriterien ausgewählt, Kühe sind am lukrativsten, wenn sie viel Milch liefern und große Euter haben und für die Fleischproduktion zählen Rinderrassen, die gut ansetzen und ordentlich Masse auf ihren Körper bekommen, um möglichst guten Ertrag zu haben.
Genetik und Gesundheit steht über allem. Es zählt nicht, ob das Rind glücklich ist, ob es genug Auslauf und Platz hat, um seinen Bedürfnissen gerecht zu werden, ob es Freunde und eine soziale Herde hat, in der es sich wohl fühlt. Unter’m Strich zählt, wie man das Maximum aus minimalsten Aufwand herausholen kann und sich dabei noch halbwegs im rechtlichen Rahmen bewegt.
Kira und Hedy könnten Zwillinge sein, doch sie sind Mutter und Tochter. Sie sind sich im Aussehen sooo ähnlich, dass es uns immer wieder wundert, und wir – nun, wo sie fast gleichgroß sind – manchmal zweimal hinschauen müssen, um sie zu unterscheiden. Hedy hat viele ihrer Gene an Kira weitergegeben – das Gesicht, die Form der Hörner, der kleine zarte Körperbau, die etwas eigenwilligen Charakterzüge. Hedy wäre eigentlich auch so eine aussortierte Kuh geworden, die nach ein paar Jahren als Mutterkuh im Schlachthof landet. Von vier Zitzen funktionieren nur noch zwei, sie ist Menschen gegenüber sehr zurückhaltend und sie verteidigte ihre Kälber früher gerne, wenn wer zu nahe kam.
Doch dann bekam Hedy das Urteil Lebenslänglich. Der drohende Schlachthof verschwand aus ihrem Leben und sie wurde zu einer Botschafterin. Sie zeigte uns, dass wir genauer hinschauen sollten. Sie war nicht irgendjemand. Sie war JEMAND. Und ein Teil von ihr steckt in Kira, so wie im jedem Kalb, das von der Kuh getrennt wird, die Mutter steckt. Sie sind alle verbunden. Und sie sind alle etwas Besonderes.